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Die andere Zeit

Barill erwachte mit kurzer Orientierungslosigkeit während der Landung am Narita Airport. Gerade rechtzeitig um die weltweit einzige vollautomatische Waschanlage für Flugzeuge aus dem Blickfeld seines Fensters entrücken zu sehn. Seine Vermieterin ließ es sich nicht nehmen ihm einige markante Hardfacts aus dem Reiseführer zu suggerieren.
Nun gut. Tokyo.. seufzte er in

sich und richtete seine wie versteinerten Glieder behutsam ein. Ein seltsamer Geruch war allgegenwärtig, nach Ausdünstungen der bunt gemischten Fluggäste, aber da war noch etwas anderes. Es hatte etwas von .. Geld, .. ja es roch förmlich nach Geld hier und dieser Geruch strömte beim Öffnen der Luken in den Rumpf des Flugzeugs wie der aufbegehrende Monsun über die Berggipfel Afghanistans. Das Erwachen lüftete langsam seine benebelnden Schleier und hinterließ ausgesprochen Gute Laune bei Barill. Dass er ausschließlich mit Handepäck reiste erwies sich als Glücksfall, ohne Wartezeit und überfüllte Waggons genoss er die Fahrt mit dem Skyliner, weniger als 90 Minuten nach der Landung schlenderte er vergnügt im Shinjuku Central Park herum. Es war beinah Dunkel geworden und die, zu seiner Überraschung zahlreichen Obdachlosen bezogen langsam ihre Nachtquartiere. Verblüfft erkannte er, dass selbst die auf Bänken oder Stufen Liegenden ihre Schuhe feinsäuberlich vor ihrem Lager hinstellten. Er hatte eine Menge Obdachlose an verschiedensten Orten der Welt gesehn, aber alle hatten eins gemein: ihre Schuhe behielten sie an, um sie nicht einem Diebstahl oder simplen Lausbubenstreich zu opfern. In Tokyo war das offensichtlich anders. Vielleicht weil es so viele sind, dachte er erheitert und machte sich auf nach Kabukicho, dem vorläufigen und wie ihm jetzt schien, allzu unkompliziert erreichten Ziel seiner Reise. Er kaufte an einem bunten Automaten ein Sandwich und legte es einem bereits tief schlummernden Penner neben die feinsäuberlich ausgerichteten, längst in die Jahre gekommenen Tabi Boots. Das erachtete er für angebracht. Wenngleich ihn der Preis ins Mark traf. Aber er wollte sich jetzt keine Gedanken über Geld machen, zumindest nicht über seines. Er war hier um sich dem Geld anderer zu widmen. Und sein wohltätig anmutender Spaziergang ins Herz des berüchtigten Rotlichtbezirks hatte ihn direkt an ihre Schwelle geführt. Ein Barill wohl vertrauter kobun - ein Handlanger würde man sagen - öffnete freundlich die Tür und trug in fließendem Englisch, herzlich distanziert, eine formelle Begrüßung vor. Gerade rechtzeitig konnte Barill sein reflexartiges Entgegenstrecken der Hand unterdrücken, der kobun war in die Jahre gekommen und hatte bereits das ein oder andere Fingerglied der rechten Hand lassen müssen. Sein letzter Gesichtsverlust war beiden schnell in Erinnerung gekommen. Barill hatte gut daran getan diese Provokation zu unterlassen. Wenngleich er ein Unantastbarer für die yakuza war, so lag es doch in seiner Natur die guten Seiten der Menschen für sich zu erschliessen. Und er hatte sein Talent kultiviert, den in ihm lodernden Zynismus fein dosiert zu versprühen, auf sufistische, oft absurde Art und Weise. In dem Fall ließ er den Hahn zugedreht. Er genoss die Reinheit seines Tuns und betrat mit bester Laune den unscheinbaren Palast von Oyabun Tam-Isho. "Mein Freund, du erahnst nicht das Ausmaß der Ehre mit der mich dein Kommen erfüllt. Ich hätte dich mit dem Bentley abholen lassen, aber die Zeiten sind hart geworden für die Wahrer der Traditionen." ein scheltendes Lachen folgte. Tam-Isho war im Geiste immer näher bei Oxford als Kabukicho geblieben, selbst heute noch da er gut 10 Jahre im Amt nicht einen Finger kürzer geworden war. "Suito-hato, die Zeit ist gekommen. Ich habe von deinen Erfolgen in Europa gehört. Japan ist geeint mein Freund. Die Zeit der Geschenke bricht an. Bereits morgen werden wir mit einem Interview von Oyoshii in Sidney die mediale Front eröffnen. Zeitgleich werden Litauen, die Niederlande, Island, Spanien, Irak, Cuba, die Südamerikanische Union und Kanada ihren Eintritt bekanntmachen. Bis zum 21. werden wir den Kapitalrückzug abeschlossen haben, die 1. Legislative startet mit 23:33:03 PDT. Ehe die Gesellschaft realisiert wie ihr geschieht werden die ersten Mindestsicherungen ausbezahlt und die Multiplikatoren in den Schlüsselpositionen aktiv. Ich hoffe du blickst Aquarius mit Freude entgegen, mein Freund. Komm ins Badehaus, wir wollen diesen ruhmreichen Tag als saubere Männer begehn und den Gestank des Fisches von uns waschen. Mein ungeschickter kobun wird uns eine, der inneren Reinigung zuträgliche Pfeife bereiten. KOBUN!! Er ist der Letzte, und jetzt da ich ausschließlich seinen Namen behalten müsste, ist der nicht mehr in Gebrauch."
Tam-Ishos Badehaus war nicht irgendein Dampfbad. In den 90ern hatte seine Familie unter dem Tarnnetz des Yakuza-Einflusses das älteste Sento Tokios, damals - 1591 noch Edo, schlichtweg mit einem Sarkopharg in Form eines gängigen Plattenbaus überbaut. Die Mauern im Inneren waren die letzten 400 Jahren Zeuge viele Veränderungen und Geschehnisse in Tokio geworden, so wurden sie dem Familiensilber zugeführt.